„Wer gehen kann, kann auch Tango tanzen“
Lebenslust als therapeutische Maßnahme
„Wer gehen kann, kann auch Tango tanzen“
Lebenslust als therapeutische Maßnahme
„Unsere Herrschaften und sogar unsere Betriebsleitung Frau Engelmann standen diesem Vorhaben mit einer gewissen Skepsis gegenüber,“ schreibt Frau Fels, die Beschäftigungstherapeutin am Haus St. Theresien, später in der Heimzeitung.
Die Skepsis, die mir gegenüber geäußert wurde, fand in Sätzen Ausdruck wie:
„Ich kann in meinem Alter kaum noch kriechen, und da soll ich Tango tanzen. Wie soll das denn gehen?“ oder: „Das ist nichts mehr für mich. Das war früher mal.“
Ich war anderer Meinung und wurde bereits am ersten Tanzabend am St. Theresien bestätigt. Tango tanzen ist eine wunderschöne Beschäftigung, auch und gerade für ältere Menschen. Der Argentinische Tango ist ein ruhiger Tanz. Anders als der, den wir in der Tanzschule gelernt haben, kommt der Tango Argentino ohne zackiges Kopfruckeln und ohne feste Figuren aus.
Denn eigentlich besteht der Argentinische Tango nur darin, gemeinsam im Takt der Musik zu gehen. Alles andere sind Verzierungen, manchmal schön, meistens unnötig, oft störend. Wer sich ruhig, mit einem Gefühl für die Musik bewegt, kann das Wesen dieses Tanzes wirklich genießen.
Drei Dinge machen das Wesen des Argentinischen Tangos aus: Die Musik, die Begegnung und das Gehen.
Wer gehen kann, kann auch Tango tanzen. Der Tanz wird improvisiert. Wer langsam geht, kann den Tanz umso mehr genießen. Es gibt keine vorgeschriebenen Figuren, die man zu absolvieren hat. Tango ist vielmehr eine exzellente Wahrnehmungsübung. Eine Regel des Tango Argentino lautet für den Führenden, so zu tanzen, dass der Geführte dabei gut aussieht. Wer geführt wird, nimmt wahr: Wohin bewegt mich mein Tanzpartner? Wer führt, achtet darauf: Wie mache ich meine Absicht bemerkbar? Was kann mein Gegenüber? Eine positive Wirkung des Tangos ist „das Erlernen der Achtsamkeit gegenüber dem Partner oder der Partnerin.“ (1)
Der Tango gehört zum Alltag der Senioren
„Der Zauber begann bereits, als Herr Fuchs mit seiner Tanzpartnerin Juliane Droege den ersten Tanz vorführte. Bei so manchem Teilnehmer begannen bereits die Füße im Takt zu wippen, einige schunkelten und summten sogar schon mit. Die Macht der Musik beherrschte alle Teilnehmer gleichzeitig,“ schreibt Frau Fels. (2)
Ja, es war ein Zauber. Und dieses Gefühl entsteht jedes Mal wieder, wenn die Senioren tanzen. Das liegt an den leuchtenden Augen, an den Rollatoren, die unbeachtet in der Ecke stehen und auch an denen, die mit auf der Tanzfläche im Takt sich drehen, und an denen sich dann eben beide Tanzpartner halten.
„Die 93jährige Dame war kaum wiederzuerkennen,“ wunderte sich die Heimleiterin Frau Engelmann, „sie stand kerzengrade, strahlte und wirkte fünfzehn Jahre jünger.“
Nicht nur das Tanzen war für alle Teilnehmer ein Erlebnis – auch das Zusehen: Nach jedem Tanz gab es Applaus für alle Tänzer. Auch für die Rollstuhlfahrer. Um mit ihnen zu tanzen, setzten wir uns ihnen gegenüber auf einen Stuhl und tanzten mit den Händen, mit dem Oberkörper. Und dasselbe Wunder geschah: Die Menschen verwandelten sich, bekamen strahlende Augen und ein verzaubertes Lächeln. Die vertraute Musik, die Bewegung, das gesellige Miteinander, die Nähe ... die Gründe mögen vielfältig sein.
Diese Freude ist sicher bereits ein hin-reichender Grund, um Tango zu tanzen. Aber es gibt noch viele weitere.
Auch weniger mobile Menschen müssen nicht auf den Tango verzichten
Ich habe inzwischen mit vielen Menschen Tango getanzt, die sich kaum zutrauten, an ihrem Rollator zu stehen. Es ist ein hervorragendes Körpertraining. Tango übt den Gleichgewichtssinn, die Muskulatur und die Koordination. Tango bedeutet außerdem Kommunikation in einer Intimität, die für viele der Senioren nur eine Erinnerung ist: Der Körper ist wichtig, er transportiert die Botschaft, wohin wir beide tanzen.
Der therapeutische Wert dieser Stunden ist kaum einzuschätzen, weil er so viele Bereiche betrifft, die getrennt von einander zu untersuchen sind.
Denn da ist noch etwas. Alle konnten es sehen, als wir zum zweiten und all die nächsten Male zusammenkamen:
„Diesmal hatten einige der Damen Lippenstift aufgelegt und festliche Kleidung angezogen – eben wie es früher war, wenn man zum Tanz ging.“
Die Vorfreude hält Einzug. Die gespannte Erwartung: Es wird wieder ein paar schöne Stunden geben. Es hat einen Sinn, mich schön anzuziehen. Ich werde gesehen. Ich sehe die anderen. Ich höre wieder diese wunderbare Musik, die unvergessen ist. Ich fühle jemanden in meinen Armen, einen Menschen, der sich der Musik genauso hingibt, wie ich es tue ...
Freunde und Verwandte der Bewohner kommen zu den Tango-Nachmittagen
Allmählich beginnen die Generationen, sich zu vermischen. Ich möchte auch die Nachbarn der Seniorenheime einladen. Und 2015 soll es das Erste Hamburger Senioren-Tangofestival geben, öffentlich, mit den teilnehmenden Senioreneinrichtungen und mit allen anderen, die gern Tango tanzen.
Im Haus St. Theresien kommen mittlerweile auch Freunde und Verwandte der Bewohner zu den Tangostunden. Manche tanzen auch mit, wie auch manche Mitarbeiter.
Im Haus St. Theresien tanzen Juliane und ich mit Bewohnern aller Pflegestufen. Auch Teilnehmer mit Pflegestufe 3 sind darunter sowie zahlreiche an Demenz Erkrankte. Die meisten sind Frauen, wie in fast allen Heimen. Sie lieben den Tango, der vielen von ihnen noch so vertraut ist und doch so fern geworden war. Wir sind ihre Tanzpartner, wir gehen mit ihnen in der Tango-Umarmung. Sie fühlen sich sicher und wagen erste Schritte. Viele erinnern sich bald an die Schrittfolgen, die sie einmal gelernt haben und übernehmen die Führung.
Manche fragen, ob sie alles richtig machen. Ja, machen sie. Wir gehen zu zweit. Die Haltung ist würdevoll, wir lauschen der Musik und tanzen sie. Meistens gehen wir.
Wenn die körperlichen Einschränkungen geringer sind, legen wir mehr Gewicht auf den Tango-Unterricht, die Teilnehmer tanzen mehr miteinander. Manche lernen sogar, Ochos zu machen, sich zu drehen, und andere Figuren.
Ich habe mit Leitern vieler Seniorenheime und -wohnanlagen gesprochen, und manche wurden neugierig, wie Frau Engelmann im Haus St. Theresien, wo wir von den Bewohnern immer wieder mit großer Freude erwartet werden.
Der Tango Argentino ist eine therapeutische Maßnahme, intensiver Kunstgenuss und zugleich ein reines Vergnügen. Ich wünsche mir, dass das Tanzen in den Einrichtungen für Senioren zum Alltag gehört wie das Malen oder das Singen. Es kann die Bewohner glücklicher machen. Und gesünder.
Helmut Fuchs
Tango für Senioren
Wendenstraße 45b
20097 Hamburg
0176 – 327 11 274
kontakt@tango-fuer-senioren.de
1) Echo-online.de, 22. Mai. 2013
2) Bild der Wissenschaft, Ausgabe 11/2009: „Wenn man sich nur vorstellt, Walzer zu tanzen, arbeitet das Gehirn in den gleichen Regionen, als wenn man tatsächlich Walzer tanzt. Beim Tanzen nur zuzuschauen genügt schon, um die entsprechenden Hirnregionen zu aktivieren – um zwar umso stärker, je bekannter der Tanz ist.“
3) Bild der Wissenschaft, Ausgabe 11/2009: „Eine Langzeitstudie mit Senioren am Albert Einstein College of Medicine in New York ergab schon 2003, dass regelmäßiges Tanzen die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, um 76 Prozent senkt. Damit beugt die rhythmische Bewegung dem Verlust von Synapsenverbindungen deutlich besser vor als Lesen (35 Prozent) und Kreuzworträtseln (47 Prozent) ... Das Erlernen von Tänzen ... lässt neue Nervenverästelungen im Gehirn sprießen.“
4) www.parkinsoninfo.de, 4.8.2009: „... Auswirkungen der Tanzstunden auf Mobilität, Gang und Balance ... Dabei zeigte sich, dass die Tanzstunden zu signifikanten Verbesserungen der Werte auf der Berg-Balance-Scale (Effektgröße 0,82), der UPDRS-Motor-Subscale (Effektgröße -0,64) und der Zeitspanne führten, die die Studienteilnehmer in der Grundhaltung verbrachten, bevor sie losgehen konnten (Effektgröße 0,97) ... „Häufige Tanzstunden in der Gruppe, die innerhalb kurzer Zeit absolviert werden, scheinen für Patienten mit leichter bis mittelschwerer Parkinsonerkrankung eine passende und wirksame Intervention zu sein“, schlussfolgern die Autoren aus ihren Befunden.
5) www.carstens-stiftung.de, 5.12.2012: „Überraschend ist die Aussage der Tango tanzenden Probanden hinsichtlich ihrer im Vergleich mit den beiden anderen Gruppen (Anmerkung: Meditierende und nicht therapierte Gruppe) größeren Achtsamkeit nach dem Tanzen. Dies lässt vermuten, dass Tanzen möglicherweise ähnliche Effekte zeigt wie meditative Maßnahmen ... Besonders für Patienten mit depressiven Verstimmungen, aber auch schwerwiegenderen Depressionen, die die Bewegung einer stillen Meditation vorziehen, könnte der (Tango-)Tanz eine Alternative darstellen.“
Mehr Links zu Beiträgen über dieses Thema finden Sie hier
Nach den ersten drei Veranstaltungen von „Tango für Senioren“ schrieb ich einen Artikel, den Sie hier lesen können
Viele hielten es für ein gewagtes Experiment. Ich war von Anfang an überzeugt, dass ich auf dem richtigen Weg bin: Ich hatte vor, mit Menschen die in Einrichtungen für Senioren leben, Argentinischen Tango zu tanzen. Da ich nicht ausschließen konnte, dass die Skeptiker Recht hatten, bereitete ich mich mit meiner Tanzpartnerin Juliane Droege umso intensiver vor.
Wir freuen uns über das lebendige Echo der Presse und der Heim-Zeitschriften auf unsere Aktivitäten.
Klicken Sie auf das Bild und Sie können die Artikel lesen.
In der aktuellen Ausgabe der „Tangodanza“
(Januar – März 2016), Europas größter Fachzeitschrift für Tango, finden Sie einen ausführlichen Bericht über uns. Ab April dürfen wir den Artikel mit Erlaubnis der Redaktion hier zeigen.
Kontakt zu Tango für Senioren in Hamburg und Kiel:
Helmut Fuchs
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